Warum ich bisweilen gender’ *
Die Aufregung rund ums Gendern ist groß. Besonders Podcast-Hosts bekommen regelmäßig wutschnaubende Kommentare. Es sei unerträglich, man könne kaum zuhören. Offenbar, so das Feedback, ist die geschriebene und verbale Nutzung von IN/*/_: gleich dem totalen Untergang der deutschen Sprache zu setzen.
Oft geht es dabei um die Befindlichkeiten der Kommentierenden: »Ich fühle mich auch so als Frau«. Groß ist auch die Sorge um das Wohlergehen der offensichtlich sehr menschlich berührten Sprache: Sie würde vom Gendernden vergewaltigt werden. Uhhhh! Hört sich wirklich nicht gut an.
Nun gut, wir können die Sprache nicht fragen, wie sie sich fühlt oder in den letzten Jahrhunderten ihrer steten Weiterentwicklung je gefühlt hat. Ist Gendern wirklich weit schmerzhafter als einstmals der Übergang von den germanischen Dialekten zum Althochdeutschen? Oder grausamer als zu Zeiten von Guttenbergs Buchdruck, der ganz erheblich die Einheitlichkeit der Sprache in kürzester Zeit förderte und damit massiv veränderte? Wie hat sie sich bei der großen Rechtschreibreform von 1996 gefühlt, als dem Kuss das »scharfe S« weggenommen und durch die weit weniger schwungvoll geschriebene »doppel S« ersetzt wurde?
Was wird übersehen?
Gendern ist kein Selbstzweck, eine krude Idee von irren Feminist*innen, selbsternannten Weltverbesserern oder übertriebenen Gutmenschen. Noch vor hundert Jahren waren wir Frauen nur »die Gattin von …«. Dass wir »Liebe Kolleginnen und Kollegen« schreiben ist eine Entwicklung, die erst in den 1960er und 1970er Jahren anfing und langsam an Akzeptanz gewann. Im selben Zeitraum hat sich das heute nicht mehr wegzudenkende »Sehr geehrte Damen und Herren« als Standardanrede durchgesetzt, bis dahin wurden wir Frauen schlicht nicht erwähnt.
Wahrscheinlich hat auch das seinerzeit Entsetzen ausgelöst. Aber wir haben es nicht nur überlebt, sondern leben es heute völlig selbstverständlich. Sogar die bayerische Regierung, die die Gendersprache in Behörden und Schulen zum April 24 verboten hat (da möchte man doch glatt rufen: »Verbotspartei!«), hat diesen Schritt vollzogen. Wow.
Was ist das Ziel?
Gendern wirkt. Nachweislich.
Studien zeigen, dass sich durch die mitgesprochene weibliche Endung – man(n) mags kaum glauben – bei Mädchen und jungen Frauen Horizonte eröffnen. Wenn man sie das erste Mal hört, dass es auch Feuerwehrfrauen gibt, dann eröffnet sich die Möglichkeit, selbst eine zu werden. Wenn die Ansprache »Liebe Kund*innen« lautet, dann hat das auch etwas mit Wertschätzung zu tun.
Und ja, es gibt Studien, die das Gegenteil beweisen. Das ist immer so.
Welche Studie die richtige ist? Ich werde das nicht beantworten können, aber ein Gedanke motiviert mich ganz ungemein: Wenn ich mit meiner Genderei (nicht nervig, nur gewöhnungsbedürftig), nur bei ein, zwei oder gar drei jungen Frauen etwas auslöse, dann hat sich das Thema für mich gelohnt. Dafür gender‘ ich gerne. Sehr gerne sogar.
Jeder darf, niemand muss
Und die Ästhetik? Ich sage nur »Foto« (und trauere dem PH durchaus nach). Es bleibt mir dabei allerdings – so wie beim Gendern auch – überlassen, ob ich weiterhin Photo schreibe. Denn auch, wenn es oft so dargestellt wird: Niemand wird oder wurde je zum gendern gezwungen. Das Thema kann gerne etwas chilliger behandelt werden.
Was den Einwand »Das generische Maskulinum ist geschlechtsneutral, und nicht diskriminierend« anbelangt, plädiere ich für einen Kompromiss in der Übergangszeit bis selbst die bayerische Regierung mit ihrem unreflektierten und populistischen Verbot als hinterwäldlerisch wahrgenommen wird: Vor wem spreche ich / für wen schreibe ich? In Schulen ist es geradezu eine Katastrophe, wenn es ein Verbot gibt. Ich wiederum könnte angesichts meiner Mandantschaft darauf verzichten, denn sie besteht nicht aus Mädchen / sehr jungen Frauen. Bei mir hat nur bereits eine so große Gewohnheit eingesetzt, dass es sich nicht mehr stimmig anfühlt, wenn ich nicht beide Geschlechter anspreche. Mit meinen Mandanten spreche ich individuell das jeweilige Für und Wider in Abhängigkeit der Zielgruppe ab.
Aber nochmal zur Einordnung: Sprachwandel ist nicht gleichbedeutend mit Sprachverfall. War es nie und wird es auch nie sein. Es ist vielmehr ein Ausdruck des Zeitgeists.
In diesem Sinne: Küsschen :)